Wir nehmen den Heteraclub wieder auf. Wie zuletzt im Winter 2019 proben wir auf Kampnagel und schlüpfen hinein in einen Prozess, der lange unmöglich war. Ich werde wieder zum Female Pimp. Die Female Pimp ist nicht nur ein Charakter in einer Show, sie ist eine performative Rolle, eine diskursive Position, die eine bestimmte Form von Wirklichkeit generiert und so den Heteraclub als einen Safe Space entstehen lässt. Wie macht sie das eigentlich, frage ich mich selbst?
Die erste Regel dieses Safe Spaces lautet: Alle haben das Recht, sexy zu sein. Klingt gut, scheint unmöglich.
Als ich ein Mädchen war, gab mein alleinstehender Vater den Frauen, mit denen er ausging, Noten für ihr Aussehen, nachdem sie wieder fort waren. Seitdem weiß ich: die Form Deiner Nase, Deiner Hüfte kann Dich disqualifizieren, kann Dich jedenfalls weit nach hinten werfen in dem Wettbewerb, der da vor meiner Nase stattfand. Tausende von Schönheitschirurgen verdienen ihr Geld damit. Wie da rauskommen?
Competition kann uns das Recht darauf nehmen , sexy zu sein. Die heteronormative Matrix ist voll davon. Dabei sind sich alle einig: Competition in Sachen Liebe und Sex ist schrecklich. Wer will schon nackt und verletzlich mitten in einem Wettkampf stehen. Also versuchen wir alle aus der Competition zu entkommen. Meist in eine Beziehung. Im Versuch Exklusivrechte und Kontrolle über andere zu gewinnen, spitzen wir die Competition weiter zu schlimmer. Sie erscheint uns unausweichlich. Ein Naturgesetz, dass sich in unserem Bett einfach Bahn bricht. The winner takes it all.
Um das erste Recht des Heteraclubs umzusetzen, muss die Female Pimp im Heteraclub die Competition unterbrechen, die das Zusammenkommen von Heteros und Heteras normalerweise bestimmt. Um dies zu tun, braucht die Female Pimp Autorität, zugleich muss sie verletzlich bleiben. Das beginnt in den Proben, in denen die Heteraperformer, die Pimps und die anderen Teammitglieder zusammenkommen. Zunächst gilt es die Competition zwischen den Heteraperformern zu unterbrechen, die sich zwangsläufig – und vor allem im Hinblick auf die Begegnung mit den Queens – miteinander vergleichen.
Dagegen etabliert die female Pimp eine Praxis des Sharings, des Teilens und Mit-Teilens, in der Fragen der Competition offen angesprochen werden: How do you feel today and how does it relate to the Heteraclub? Jeden Tag werden Gefühle mit der Gruppe geteilt, jeden Tag berühren alle alle, jeden Tag sind andere Teammitglieder einander nahe. In den Proben steht nicht nur die Pimp, sondern auch die Heteraperformer für die späteren Besucher*innen ein. Alle übernehmen die Rolle der Queens. Miteinander üben wir Consent und auch jene gesteigerte Form von Content, die in den One-on-One-Performances gefragt ist: Nicht nein sagen müssen, sondern ja sagen können. Wir üben Slow & Dirty Dancing und dabei vor allem das zu dritt, zu viert, zu vielen Zusammenkommen. Der Paartanz führt hier nicht in die Paarbeziehung, sondern in den Gruppen-Squeeze. Wer will dieses Mal in die Mitte? In dem Spiel Alle für Eine machen alle gemeinsam den Wunsch einer einzelnen Person wahr und dabei sehen wir manchmal für einen kurzen Moment die Konturen einer anderen, noch ganz ungeahnten erogenen Welt.
Diese Routine des Sharings und der Zärtlichkeit lässt die Mitwirkenden langsam die Angst verlieren, aus der Nähe herauszufallen. Ein Pfeiler des Safe Spaces ist entstanden und das Recht Nummer 1 beginnt zu leben: Tatsächlich, alle haben das Recht sexy zu sein. Warum auch nicht. Intimität ist eigentlich kein knappes Gut, um das wir konkurrieren müssten.
Mit der Competition fällt außerdem ein Drive von heteronormativem Gendering aus. Keineswegs arbeitet der Heteraclub an der Inszenierung von Männlichkeit oder gar Weiblichkeit. Es entsteht vielmehr ein Raum, in dem Männer und Frauen in komplexer Weise füreinander einstehen und einander dadurch überlagern, ähnlicher werden. Die Heteraperformer werden ermächtigt, ihrerseits mit Gender zu experimentieren und sich anders sexy zu fühlen als sonst.
Die Ankunft der Queens im Club bringt neue Herausforderungen. Die meisten Heteras sind es gewöhnt, im Kontakt mit Heteros gegeneinander gepitcht zu werden: Sie sind sich meist nur allzu sehr ihres heteronormativen Marktwertes bewusst. Dies zu erlernen ist ein schmerzhafter Prozess, der in sehr jungen Jahren beginnt und niemals wieder aufhört. Wir alle kennen die Reden davon, dass Frauen schlechter altern als Männer. Wir alle wissen, was Übergewicht bedeutet. Es ist unmöglich, diesem Wissen zu entgehen und die eigene Erscheinung nicht daran zu messen. „Body Image Issues“ sind ein zentraler Faktor, der Frauen zwischen 15 und 25 zu einer Hochrisiko-Gruppe für Angststörungen und Depression machen. Wenn wir diese Zeit überstehen, haben wir meist Strategien entwickelt, mit unserer Position auf der Fuckability-Skala klarzukommen. Und viele dieser Strategien sind anti-solidarisch gegenüber anderen Heteras, insbesondere solchen, mit denen wir nicht per Freundinnenschaft ein non-compete abgeschlossen haben. Sie haben mit Vorurteilen und Projektion und damit zu tun, einander nach Möglichkeit zu ignorieren.
Diese Art der Competition im Heteraclub zu unterbrechen, ist vielleicht das, was ich an der Rolle der Female Pimp am meisten genieße: Den Club als einen Ort zu etablieren, in dem wir nicht in Competition zueinander sind und Männer endlich gemeinsam begehren können. Dies zu erreichen ist einfacher als die Competition unter den Heteraperformern zu unterbrechen und macht die eigentliche Macht der Pimp aus: Queens und Performer begegnen sich im Club, tanzen miteinander, kommen sich nahe – jedoch immer unter den wachsamen Augen der Pimp, die das Männer Teilen anleitet. Wer mit wem schließlich für 30 Minuten alleine ist, denn solange dauert die Paarbeziehung im Club und nicht länger, das entscheidet der Zirkel der Queens und der Female Pimps unter sich. Die Heteraperformer haben darin kein Mitspracherecht. Performer entscheiden ja auch sonst nicht, wer ihr Publikum ist. In dieser Runde der Heteras geschieht das Gegenteil davon, was man von Sexwork normalerweise erwartet: Hier wird kein Markt der Körper performt. Hier wird der Markt der Körper, wie er in der heteronormativen Matrix existiert, unterbrochen und durch Sisterhood ersetzt. Und die stellt sich auch sofort ein, wenn alle verstanden haben, das die Regeln hier anders sind als sonst. Und wenn die 30 Minuten vorbei sind, genießen wir das gemeinsam und spielen noch eine Runde Alle für Eine, – Heteraperformer, Queens und Pimps, ist dann am Ende auch egal, wer wer ist.
Im November werde ich an der Bundesakademie in Wolfenbüttel einen Workshop für zukünftige Female Pimps geben. Die Competition zu unterbrechen ist eins der Dinge, um die es dabei gehen soll.
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