Bericht aus der Vergangenheit:
Du bist die Queen, Du betrittst den Salon, und ich als Dein Pimp nehme Deine Hand und heiße Dich willkommen. Du wirst angefasst, berührt, und zwar von Anfang an. Berührung ist wichtig, das habe ich gemerkt, es schafft Vertrauen, es ist schön, auch für mich, und es zeigt Dir gleich, daß Du gemeint bist. Du willst wahrscheinlich erst mal wissen, wo die Toilette ist, das wollen alle wissen, das zeige ich Dir gerne, und auch, wo die Bar ist, obwohl man die eigentlich sehr gut sehen kann, aber es ist wichtig, daß Du weißt: es ist ok, dass Du erst mal ankommen willst und das ganze aus einem kleinen Sicherheitsabstand betrachten willst, und ein Getränk oder die Toilette kann so ein Abstand sein. („Abstand“, seltsam, dieses Wort jetzt zu schreiben, in einem Text, in dem es doch um Nähe und Berührung und Gruppe geht, und gleichzeitig schmerzhaft zu wissen, daß das alles grade auf lange Zeit so nicht mehr geht.)
Oder Du stürzt Dich gleich hinein in das Geschehen, vielleicht hast Du den Salon betreten, als gerade ein Aufguss vom Saunameister läuft, da kannst Du Dich gleich dazu setzen, oder wir spielen eine Runde „Sanft oder Heftig“. Oder Pimp Sibylle hat eine Runde Flaschendrehen ausgerufen. Das hast Du seit der sechsten Klasse nicht mehr gespielt, oh, das geht ja tatsächlich zur Sache hier, und vielleicht schaust Du doch lieber von der Bar aus zu, erst mal. Aber dann sind die „Hetera-Headphones“ aktiv, und Du bekommst einen Kopfhörer und bist in einer Gesprächsrunde über Orgasmen und Phantasmen.
Sibylle und ich sprechen mit allen Queens im Raum über diese Kopfhörer, und wir flüstern in das Mikro und erzählen uns unsere Geheimnisse und Wünsche. Und wir beide sind selber sehr erstaunt, wie wunderschön diese Runden sind, wir hatten ja gedacht, wenn so viele Frauen im Salon sind, dann haben wir unsere logistischen Aufgaben nicht erfüllt, denn eigentlich sollten alle Queens ja dann auch schnell zu den Performern in die One-on-Ones kommen, hatten wir gedacht. Aber es stellt sich heraus, daß diese Runden mit den vielen Frauen und all den Erzählungen über Lust, Schmerz, Albernheiten, Peinlichkeiten, Ärger, Schönheit, Gemeinsamkeit, Unterschiede und Solidarität das wahre Herzstück des Projekts sind.
Und irgendwie ist die Zeit abhanden gekommen, und Dein Pimp ruft Deinen Namen und Du wirst nach oben zu den Separees geführt, zu Deinem One-onOne, es geht durch den kalten unteren Flur, wo ein paar Raucherinnen stehen und dann die Treppe hinauf, die schrabbelige Treppe, die Hinweis darauf gibt, dass der Club eigentlich sonst ganz anders aussieht und der Heteraclub zeitlich sehr begrenzt ist.
Oben angekommen wirst Du von Sarah oder Eidgi in Empfang genommen. Und was oben geschieht, das weiß ich als Pimp nie so genau.
Und nach einer halben Stunde kommst Du wieder herunter, zu uns, in den Salon. Noch einmal durch das kalte Treppenhaus und wieder in den warmen, heißen Salon. Und während Du weg warst, scheint sich hier unten alles noch eine Schraube weitergedreht zu haben, noch mehr nackte Haut, und plötzlich knutschen sich Leute durch Klarsichtfolien, das Licht ist schummriger, die Discokugel dreht sich, während alle in einem großen Kreis einen Wunsch und ein Kleidungsstück in die Mitte legen. Und Du willst gar nicht gehen und fragst mich, ob das ok ist, ob Du noch bleiben kannst, es wird ja immer voller, so viele Frauen, auf dem Affenfelsen werden noch mehr Neuankömmlinge instruiert, aber Du willst einfach noch ein bißchen länger hier rumhängen, und ich, Dein Pimp, sage Dir, dass es ok ist, Du merkst ja selber irgendwann, wenn es wirklich zu voll wird, rausschmeißen mussten wir bislang noch keine Queen. Und so bleibst Du vielleicht bis zum Schluss, wenn das offizielle Programm vorbei ist und Sibylle und ich unsere Rolle als Pimp loswerden und vielleicht tanzen wir alle noch mal zu Martin Lieblingssong von Santana oder Viktor Teimann Evergreen „Wenn ich ein Eisbär wär“, oder natürlich „The Power of Love“. Alle miteinander, oben ohne, ohne Abstand. Fuck Abstand.
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